Wiener Staatsoper: Aktueller denn je!
Nach einer Rosina 2009 und einem Liederabend 2016 beziehungsweise einer Don José-Serie 2016 und einer Lady Macbeth von Mzensk-Serie 2017 singen Joyce DiDonato und Brandon Jovanovich als Didon und Enée in den Trojanernerstmals eine Neuproduktion an der Wiener Staatsoper. In den Probenwochen gaben sie Andreas Láng das folgende Interview.
Wann und warum haben Sie beschlossen, die Didon beziehungsweise den Enée, also Rollen einer in den internationalen Spielplänen nicht sehr verankerten Oper, in Ihr Repertoire aufzunehmen?
Joyce DiDonato: Auf die Idee, die Didon zu singen, brachte mich ursprünglich der Dirigent John Nelson, und zwar im Zuge einer Gesamteinspielung für Warner Records. Angesichts der Tatsache, wie selten heutzutage die Möglichkeit besteht, eine komplette Oper auf CD neu herauszubringen, schon gar eine Rarität wie Les Troyens, konnte ich dieses Angebot natürlich schwer ablehnen. Mir war zudem klar, dass ich sie dann aber unbedingt auch szenisch verkörpern wollte – schließlich handelt es sich bei Didon um eine vollblütige tragische Figur – sowohl in ihrer Position als Königin als auch als Frau –, deren Umsetzung auf einer Bühne eine wunderschöne und zugleich lohnende Herausforderung darstellt.
Brandon Jovanovich: Meine Antwort ist ganz einfach: Das Werk und die Rolle sind umwerfend schön, das war mir schon beim ersten Kennenlernen via Internet sofort klar. Und je länger ich mich in das Stück vertiefte, umso deutlicher sind die Kostbarkeiten hervorgetreten und selbst seit meinem diesbezüglichen Rollendebüt in San Francisco 2016 konnte ich Neues und Bedeutendes in der Partitur entdecken. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass wir doch alle mit den der Handlung zugrundliegenden Geschichten aufgewachsen sind und uns in diesem Ambiente daher irgendwie heimisch fühlen.
Joyce DiDonato: Da kann ich nur zustimmen. Als ich die Musik dieser Oper zum ersten Mal hörte, war ich – und ich bin es heute noch – völlig überwältigt! Was Berlioz hier geschaffen hat, ist atemberaubend und die Möglichkeit, Teil so eines Meisterwerks sein zu dürfen, lässt mich demütig werden.
Herr Jovanovich, wie lange hat es gedauert, diese doch sehr lange und herausfordernde Partie einzustudieren?
Brandon Jovanovich: Alles in allem ein ganzes Jahr: Zunächst las ich den Klavierauszug durch, hörte mir bestehende Aufnahmen an, erstellte mir eine Eins-zu-eins-Übersetzung und entdeckte Detail um Detail. Schließlich legte ich mit dem eigentlichen Lernen los. Mein Ziel ist es grundsätzlich, und beim Enée war es nicht anders, vier bis sechs Monate vor Probenbeginn fertig studiert zu sein, um dann noch Zeit zu haben mich mit dem Subtext des Librettos und der Musik auseinander zu setzen. Der eigentliche Feinschliff erfolgt dann in der offiziellen Probenarbeit.
Gab es jetzt, beim neuerlichen Erarbeiten der jeweiligen Rolle, einige neue Erkenntnisse, einige Aha-Momente?
Joyce DiDonato: Ich genieße geradezu die Chance, diese Partie ein weiteres Mal zu erforschen. Didon ist schließlich ein derartig profunder und komplexer Charakter, dass ich wohl bei jeder Auseinandersetzung mit ihr, ja bei jeder Vorstellung, neue Einblicke gewinnen werde. Berlioz
gelang mit Didon durch seine unglaublich reiche Partitur das Porträt einer zutiefst menschlichen Gestalt, die nie vollständig zu erforschen sein wird.
Brandon Jovanovich: Zu all dem kommt noch, dass uns jeder neue Dirigent, jeder neue Kollege mit Facetten konfrontiert, die wir bis dahin nicht einmal erahnen konnten. Es reicht ja, ein Wort etwas anders zu betonen, die Dynamik leicht zu variieren und schon ändern sich wesentliche Komponenten, die der Figur eine ganz andere Färbung verleihen.
Frau DiDonato, Sie sagten einmal, dass Händel und Rossini ideal für Ihre Stimme seien – wie sieht es mit Berlioz aus?
Joyce DiDonato: Berlioz liebte die Mezzostimme, und so ist jede Phrase die er für meine Stimmlage schrieb, selbst die herausfordernden Passagen, ein Geschenk!
Der Enée weist lyrische wie heldische Abschnitte auf – wie geht man mit diesen Gegensätzen um?
Brandon Jovanovich: (lacht) Es stimmt, die Heirat dieser beiden Richtungen innerhalb einer Rolle ist eine nicht alltägliche Sache! Zumal die heldischen Teile mit den hohen deklamatorischen Anforderungen großteils in den ersten beiden Akten drankommen und die lyrischen, weichen erst danach. Umgekehrt wäre es bequemer, aber leider, Berlioz steht für Verhandlungen nicht mehr zur Verfügung…
Was haben Sie noch von Berlioz gesungen?
Joyce DiDonato: Béatrice in Béatrice et Bénédict, Marguerite in La damantion de Faust sowie Les nuits d’été – und jedes Mal hat es sich um neue Offenbarungen gehandelt.
Brandon Jovanovich: Der Enée in San Francisco war mein erster Berlioz.
Wie schaut die Annäherung an einen Komponisten aus, den Sie vorher noch nie gesungen haben?
Brandon Jovanovich: Sie geschieht vor allem über ein genaues Partiturstudium der betreffenden Rolle. Aber natürlich informiere ich mich über das Leben des Komponisten, höre mir weitere Werke aus seinem OEuvre an.
Joyce DiDonato: Richtig: die Partitur, die intensiven, zeitraubenden Tiefenbohrungen in der Musik und im Libretto stellen die ideale Annäherung an ein noch unbekanntes Werk dar.
Berlioz gilt als großartiger Instrumentierer – hater auch mit Gesangsstimmen umgehen können?
Joyce DiDonato: Er konnte unglaublich lyrisch schreiben, aber noch bedeutender ist seine Fähigkeit der Textumsetzung. Und das ist das Wichtigste: Die französische Sprache verlangt eine sehr genaue musikalische Behandlung und darin war Berlioz ein absoluter Meister. Da er außerdem das Libretto der Trojaner selbst verfasst hat, ist allen Interpreten klar, dass jedem Wort, jeder Silbe eine Bedeutung zukommt.
Brandon Jovanovich: Natürlich hat Berlioz insgesamt leichtere Stimmen im Ohr, sodass so manches, was er von den Interpreten verlangt, auf Schwierigkeiten stoßen kann. Aber er hat seine Aufgabe eigentlich auch in diesem Punkt gut gemacht, nicht nur was die Textausdeutung betrifft.
Was kann ein Werk, das so eindeutig in der antiken Sagenwelt verortet ist, einem heutigen Publikum sagen?
Joyce DiDonato: Ich glaube, dass dieses Sujet kaum aktueller sein könnte! Es geht um ein Volk, das aus seiner Heimat fliehen musste und um Asyl ansucht – es geht um Flüchtlinge. Didon erkennt heldenmütig, dass diejenigen, die das Leid erkennen, die es erfühlen, jenen niemals den Rücken kehren können, die Hilfe benötigen. Ich finde, es geht um eine Einstellung, die man sich immer wieder neu vor Augen führen sollte.
Brandon Jovanovich: Genau genommen werden sogar die ganz wesentlichen Themen und Konflikte der Menschheit durchdekliniert: Der Umgang mit den Hilfesuchenden, wie Joyce richtig festgestellt hat, dann die Einstellung zu einer – möglicherweise – vermeintlichen Bestimmung, es geht um Liebe in vielerlei Hinsicht und um Opfer, die man zu bringen müssen glaubt. Viele von den hier angesprochenen Themen wirken in unser privates Leben hinein.
Wie viel Freiheit hat man als Interpret in den Trojanern?
Brandon Jovanovich: Die Antwort ist einfach: Im genauen Befolgen der Vorgaben in der Partitur wird man als Sänger, aber auch als Dirigent und Musiker eine ideale Umsetzung finden …
Joyce DiDonato: … ganz genau! Berlioz gibt so viele musikalische und dramatische Hinweise, dass man künstlerisch nicht im Ungewissen bleibt.
Inwieweit ist eine Entwicklung der Charaktere im Laufe der Handlung überhaupt erkennbar?
Brandon Jovanovich: Das ist eine gute Frage… aber ich glaube, dass es sehr wohl eine Entwicklung gibt. Enée verliert sich in der Liebe zu Didon und erkennt aber dann seine eigentliche Bestimmung, der er schließlich folgt. Das ist doch ein wesentlicher Paradigmenwechsel eines Lebensentwurfes!
Joyce DiDonato: Ähnliches, wenn auch mit anderen Vorzeichen, gilt für Didon: Sie entscheidet sich für die dunkle Seite. Sie verändert bewusst alle Parameter, um sich die Beziehung zu Enée gestatten zu können und als sie meint, von ihm verraten worden zu sein, gibt es für Didon keinen Weg zurück. Das zeigt doch sehr deutlich, was für eine dramatische Reise sie im Zuge der Handlung zurücklegt.
Kann Enée nun als positiver Charakter verstanden werden? Tristan hatte die Liebe zu Isolde immerhin über die staatlichen Interessen gestellt.
Joyce DiDonato: Enée folgt lediglich seinem vom Schicksal gestellten Auftrag. Es ist gefährlich, Charaktere, die wir auf der Bühne zum Leben erwecken wollen, abzuurteilen. Wir müssen sie vielmehr ernst nehmen, ihre Vielschichtigkeit betonen. Natürlich, für Didon versinnbildlicht Enée im Moment seines Auftauchens das Beste, was sie sich je erträumen konnte und als er sie verlässt, sieht sie in ihm den Inbegriff des Abscheulichen. Aber das ist die Sichtweise Didons, nicht die meine.
Brandon Jovanovich: Enée ist schlichtweg Opfer der Umstände. Im ersten Teil muss er seine Heimat verlassen, im zweiten Teil kommt zwar die Dimension der Liebe ins Spiel, aber da wie dort ist ihm oft nicht klar, wie es weitergehen soll. Er ringt um den richtigen „nächsten Schritt“ und erscheint dadurch zutiefst menschlich und auf keinen Fall negativ.
Eine letzte Frage: Können Sie Ihrer Rolle eine bestimmte Grundfarbe zuordnen?
Joyce DiDonato: Ich sehe hinsichtlich der Didon eine Wandlung vom Goldgelben am Beginn zu einem Flammendrot und Orange am Ende.
Brandon Jovanovich: Nein, die Farbigkeit des Enée ändert sich andauernd. Er schwankt zum Beispiel ganz extrem zwischen Heroismus und Zärtlichkeit, er ist nicht derselbe wenn er Didon gegenübersteht und wenn er seine Heimat untergehen sieht.