OPERNSTAR AUS KANSAS
Die Welt
by Manuel Brug
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Die amerikanische Mezzosopranistin Joyce DiDonato steht auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Der richtige Moment für ein Gespräch über Große-Mädchen-Rollen, Extremsport und zerbrochene Lieben.
Die Welt: Wie ruft man, immer wieder neu, heftigste Emotionen ab?
Joyce DiDonato: Ich versuche mich ganz auf die Musik, den Charakter und die Figur einzulassen. Etwa Maria Stuarda von Donizetti, mein aktuelles Schlachtross, mit dem ich von Houston über New York und Berlin bis London getrabt bin. Jeder Satz ist mit Bedeutung aufgeladen. Noch mehr als sonst in der Oper, weil sie sich und uns allen und natürlich ihrer Rivalin Elizabeth I. etwas beweisen will. Sie ist sehr manipulativ. Es gibt keine entspannte, nur mal so gesagte Phrase. Gerade in der Probenphase muss ich ich mich Tag und Nacht auf die Figur einlassen. Das laugt aus, das ist wie ein fahrender Zug, der durch mich hindurchfährt. Man ist dann aber trotzdem glücklich hinterher, dass sich die Batterien wieder aufladen. Und wenn das nicht langt, dann probiere ich es immer mit Kickboxing.
Die Welt: Das ist alles?
DiDonato: Das ist der Vorteil einer professionellen Sängerin, die einige Karrierejahre auf dem Buckel trägt: Man hat es in sich, es ist Teil meiner DNA geworden, diese scheinbar übergroßen Gefühle zu produzieren, weil ich sie irgendwo abrufbar halte. Man muss das aber sehr scharf trennen, von seiner eigenen Persönlichkeit. Sonst wird man leer und zehrt an der Substanz. Ich muss spätestens nach den ersten Vorstellungen die Rolle auch ablegen können wie das Kostüm. Da hängt die Maria, hier ist jetzt wieder Joyce.
Die Welt: Helfen dabei Kostüme?
DiDonato: In Maßen. Und sie müssen bequem sein! Sonst lenken sie ab, und man ist nicht mehr auf die Interpretation konzentriert. Aber klar, man ist jemand anderes. Und dieses Kleine-Mädchen-Gefühl des Sich-Verkleidens, des Prinzessin-Spielens durchflutet mich immer noch. Ich merke das auch, wenn ich eine Bühnenrolle zwischendurch konzertant singe. Ich muss mich nur daran erinnern, wie ich mich in bestimmten Kleidern gefühlt habe, schon ist die Gestik, die Gestimmtheit wieder da!
Die Welt: Auch hier folgte die Robe der Rolle?
DiDonato: Man darf es nicht übertreiben. Sonst ist man ein Kleiderständer, oder ein “Clothing Horse”, wie wir Amerikaner sagen. Ich komme ja aus Kansas, da bewahrt man sich Bodenständigkeit. Anderseits soll eine Opernsängerin für ihr Publikum zumindest stoffmäßig noch eine Restportion Diva verkörpern. Wir müssen doch noch was zum Träumen haben! Für die Maria Stuarda in konzertanter Form habe ich schon sehr genau überlegt, was geht. Und habe mich schließlich für ein schlichtes schwarzes Cavalli-Kleid entschieden. Das ist quasi ihr Büßerinnen-Alltagskostüm. Nun war das aber einfach. Hier spielt der Mezzo die Hauptrolle, und ich habe, ganz ehrlich, die effektvollste und dankbarste Musik. Da ist dann less more. Ich fand es klasse, dass etwa in Berlin meine Soprankollegin Carmen Giannattasio sich auch Gedanken gemacht hatte. Wobei sich Sängerinnen bei so was in der Regel nicht absprechen. Die Überraschung erfolgt auf dem Podium. Sie hat als Gewinnerin der Geschichte und machtvollerer Königin gleich dreimal die Kleider gewechselt. Wow! Das Publikum hatte jedenfalls seine Show.
Die Welt: Ist es von Bedeutung, ob die Figur, die Sie verkörpern, gelebt hat oder nur Fantasieheldin ist?
DiDonato: Es hilft, historische Umstände zu kennen, sich mit einer wirklichen Figur beschäftigen zu können. Maria Stuart hat ganz konkret 1587 ihr Leben verloren, und sie war überzeugt von der Mission, ihr Land retten zu müssen. Aber am Ende muss ich in den Charakter steigen, den der Komponist klanglich vorbereitet hat. Wenn der passt, spielt Wirklichkeit oder Fiktion keine Rolle mehr. Dann geht es nur um Glaubwürdigkeit auf der Bühne. Wir erzählen die Märchen. Dann blühen auch scheinbar schematische Figuren wie etwa Mozarts Cherubino auf, bekommen von uns durch die Melodien ihre sehr besondere Existenz eingehaucht. Die Probleme der Stuart wirkten natürlich schwerer als die Pubertätskonflikte eines spanischen Pagen. Aber das ist das Privileg meines Berufes: heute der – und morgen diese Rolle. Jede verlangt mir andere Zugänge, Farben, Gestimmtheiten ab, an denen ich wachsen darf, meine Stimme ausprobieren und verändern kann.
Die Welt: Verliert man sich in Rollen?
DiDonato: Ich komme immer wieder gern zu Joyce zurück, versuche mich auf Normalnull einzupendeln. Was etwa bei einer Stuarda schwerer ist, denn all die Dramatik, die Verzweiflung muss erst einmal aufgebaut werden. Die hat mich zu meinen Limits geführt. Ich habe in dieser Rolle so viel zu sagen, das spüre ich. Ich habe mir das bewusst ausgesucht und genieße es gerade sehr: Hallo, ich bin jetzt in der Große-Mädchen-Liga!
Die Welt: Ist das als Mezzosopran ein Abschied von den Hosenrollen?
DiDonato: Nicht ganz. Mozart bleibt. Bellinis Romeo auch. Genauso Rossini, für den ich auch noch meine Kerle-Figur halten muss, ebenso ausgewählte Barockpartien. Aber ja, es gibt mehr französisches Repertoire, da darf ich Mädchen sein und Kleider tragen.
Die Welt: Sie haben die Maria und andere ausgefallene Rollen wie Malcom in Rossinis “Donna del lago” an vielen Orten gesungen. Wie schafft man das?
DiDonato: Glück und gute Planung! Ich habe einige Karrierejahre eine neue Rolle nach der anderen gesungen. Das schlaucht, ist aber wichtig. Man stellt sich an verschiedenen Häusern und in immer neuen Ländern vor, sammelt Erfahrung in unterschiedlichen Inszenierungen. In meinen Fall durfte ich sogar lernen, wie es ist, Rossinis Rosina mit gebrochenem Knöchel im Rollstuhl zu singen! Und dann kommt der Moment, wo man sich mit seinem Agenten zusammensetzt und überlegt, was kommen soll und was man intensivieren möchte. Und wenn man dann sagt: Hallo, Castingchefs, ich denke über die und die seltener gespielte Rolle nach, dann freut das die auch. Man schaut: Gibt es noch andere Sänger und Häuser, die das machen wollen? Das ist wie ein Puzzle. Irgendwann war ein “Donna del lago”-Team zusammen, das in Paris, Mailand, London und bald auch New York aufgetreten ist. Das war wie ein weltweit agierendes Ensembletheater, ein sehr schönes Gefühl. Anderseits weiß man: Das wird auf einige Spielzeiten beschränkt sein, dann fliegen wir auseinander, und diese Partie ist vermutlich wieder Vergangenheit. Andere Rollen, etwa die Cenerentola, begleiten mich schon lange, an denen wächst man, und zu denen kehrt man wie zu Freunden zurück. Ich habe eine schöne Balance zwischen Bewährtem und Neuem gefunden. Auch weil ich meine Stimme inzwischen sehr gut kenne, da weiß ich, was ich mir in Planungsvorläufen von bis zu fünf Jahren zutrauen kann.
Die Welt: Das gilt für Ihr professionelles Leben. Aber was ist, wenn es privat nicht so toll läuft?
DiDonato: Auch das gehört zum Profidasein. Ich habe es erst vor Kurzem wieder erfahren müssen, als leider auch meine zweite Ehe vorbei war. Und ich habe gemerkt, wie mich der Beruf stark macht, mich erfüllt, um das zumindest nach außen hin ausgleichen zu können.
Die Welt: Hat man es als Frau noch schwerer in diesem Geschäft denn als Mann?
DiDonato: Ich glaube ja. Auch Männer müssen heute schön und dünn sein, aber bei Frauen ist der Druck stärker. Vor allem wenn es noch um Beziehungen, gar Familie geht. Männer stecken weniger leicht zurück. Obwohl ich mir ehrlich sagen kann: Meine zweite Scheidung war kein Tribut an meinen Beruf. Vielleicht ist die Situation beschleunigt worden durch diese verrückte Profession. Die fundamental falschen Dinge wären auch sonst passiert. Aber ich kenne auch Beispiele, wo gerade dieser Beruf eine Beziehung inspiriert und zum Fliegen bringt. Es braucht freilich zwei sehr besondere Wesen dafür.
Die Welt: Wer hat Sie auf das Thema Ihrer neuen CD gebracht?
DiDonato: Der Dirigent Riccardo Minasi. Der ist nicht nur ein toller Geiger und im Barockrepertoire firm, der kennt fast alle Schätze in neapolitanischen Archiven. Erst mussten wir uns durch Hunderte Partituren wühlen, dann musste ich die Sicherheitsgurte anlegen, so zog Riccardo am Pult ab! Es war toll, so viele interessante Arien erstmals aufzunehmen. Ich kenne die Sprache, aber Komponisten wie Carafa hatte ich nie gesungen. Es ist der richtige Schritt zur richtigen Zeit, ich setzte meine Donizetti- und Rossini-Erkundungen einfach fort.
Die Welt: Sie haben eine Zeit lang ein sehr offenes Blog geführt, Sie haben Ihr Publikum Repertoire und Cover für eine Best-of-CD wählen lassen. Fühlen Sie sich wohl als “People’s Diva”?
DiDonato: Vorsicht, so nennt sich doch Renée Fleming, oder? Ja, ich bin eine öffentliche Person, will mich technischen und kommunikativen Möglichkeiten nicht verschließen. Gleichwohl schätze ich Privatsphäre. Bisher respektieren die Menschen das. Ich mache heute mehr Videos, beispielsweise gibt es meine Rede als Ehrendoktor an der Juilliard School. Die Kanäle sind immer offen, und der Dialog geht voran.
“Stella di Napoli” (Erato); Konzert am 20. September in Baden-Baden und am 29. in Essen