„Ihre Stimme macht die Welt ein wenig besser“ titelte der Tagesspiegel anlässlich des berauschende Liederabends, mit dem die Star-Mezzosopranistin Joyce DiDonato im Dezember 2023 erstmals an der Staatsoper Unter den Linden zu erleben war. Nach diesem grandiosen Debüt kehrt sie nun anlässlich der Festtage für einen weiteren Liederabend an die Staatsoper zurück: Gemeinsam mit dem Pianisten Maxim Emelyanychev führt sie Franz Schuberts Winterreise auf.

„Sie könnte auch seitenweise Quartalsabrechnungen vorsingen, es würde jeden glücklich machen, der zuhört“, fuhr der Tagesspiegel 2023 fort: Sie „verfügt über alle Nuancen der Farben und Affekte; hat ein einmalig schönes Timbre, eine leicht erreichte Höhe. Rein gesangstechnisch ist sie unschlagbar. Ihr cremeweiches Legato, ihre zärtlich platzierten Portamenti und das verlöschende dreifache Piano […] Das sind Finessen, die hochfliegen bis in den zweiten Rang.“ Bei ihrem Liederabend zu den Festtagen 2025 steht Franz Schuberts ebenso faszinierender wie beklemmender Liederzyklus Winterreise auf dem Programm. 1827 komponiert, schuf Schubert damit auf Gedichte des Schriftstellers Wilhelm Müller eines seiner bewegendsten Werke, das aus dem Repertoire klassischer Liedinterpreten nicht mehr wegzudenken ist. Eine Reise zwischen Leben und Tod, ein Wandern ohne Rast und ohne Ziel – davon erzählen die 24 Lieder des Zyklus‘ vor dem Spiegel einer eisigen, erstarrten Natur. Hoffnung und Resignation, Erinnerungen an glücklichere Tage mit der Geliebten und schmerzliche Einsamkeit sind die Pole, zwischen denen sich die düsteren Gesänge bewegen. In ihrer szenischen Interpretation des Liederzyklus‘ nimmt Joyce DiDonato nun einen spannenden Perspektivwechsel vor: Denn nicht dem verzweifelten Wanderer leiht sie ihre Stimme, sondern seiner zurückbleibenden Geliebten: „Ich stand gerade erstmals als Charlotte in Massenets Werther auf der Bühne, als Yannick Nézet-Séguin mir vorschlug, mich mit der Winterreise, diesem großartigen Liederzyklus, zu beschäftigen. Vielleicht war es ein besonders glücklicher Zufall, dass ich das eindringliche Bild von Charlotte, die wie besessen immer wieder Werthers Briefe liest, nicht ganz loswurde, als ich auf einen der ersten Sätze im ersten Lied von Schuberts meisterhafter Winterreise stieß: ,Das Mädchen sprach von Liebe.‘

Die Frage ließ mich einfach nicht mehr los: Wer war dieses Mädchen, das zwar kaum erwähnt wird, das aber scheinbar der Auslöser für den Beginn dieser so zeitlosen Reise ist, und was geschah mit ihr? Auf welche Reise hat sie sich begeben, nachdem der Mann, den sie liebte, sie mitten in der Nacht verlassen hatte?“ So deutet Joyce DiDonato, begleitet von Maxim Emelyanychev am Klavier, Schuberts Lieder als Tagebuch des Wanderers, das er seiner Geliebten als Abschiedsgruß schickt. Immer tiefer taucht die junge Frau in die Gedanken und Gefühle des Wanderers ein: „Ich konnte mir leicht eine Welt vorstellen, in der er ihr sein Tagebuch mit der Post schickt, und beim Lesen seiner Einträge nimmt ihre Reise ihren eigenen Lauf. Eine Reise, die sie mit ihrer eigenen Wut, vielleicht auch mit ihrem Verlust und ja, auch mit ihrer Liebe konfrontiert, wobei jedes dieser Gefühle direkt mit seinen Worten verbunden ist. Als ich zum ersten Mal die Idee hatte, diesen Zyklus als ,das Mädchen, das von Liebe sprach‘ zu singen, war es mir wichtig, den Zyklus systematisch Stück für Stück durchzugehen, um absolut sicher zu gehen, dass ich diesem Meisterwerk nichts Unpassendes aufzwingen würde. Was ich aber stattdessen entdeckte, war ein faszinierender neuer Blickwinkel auf diese Reise: Die Nachspiele dieser vertrauten Stücke bekommen plötzlich eine ganz andere Bedeutung, wenn man weiß, dass ,sie‘ ,seine‘ Gefühle und Gedanken verarbeitet; Wiederholungen von Phrasen verändern sich radikal, wenn,sie‘ ,seine‘ Worte für sich selbst ausspricht. Mit diesem neuen Blickwinkel auf die Lieder, die wir kennen und lieben, spüre ich, wie ihre Präsenz die Reise von all jenen Menschen zum Leben erweckt, die zurückgelassen werden, die ungeliebt sind und die Scherben aufsammeln müssen.“

Das Magazin Staatsoper Unter den Linden